Rayhan sitzt am Fußende eines Bettes, im Doppelzimmer am Ende des Gangs. Die letzte Nacht musste Lisa, seine Mitbewohnerin, im Krankenhaus verbringen, mit Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall. Nun bringt er ihr Socken und eine lange Hose, außerdem Wraps mit Lachs, die sie so gern mag. Er sieht zu, wie sie isst, und scheint froh zu sein, etwas zurückgeben zu können.
Seit fast einem Jahr versteckt Lisa Kühn, eine hübsche Frau mit langem Haar, Rayhan Reza in ihrer Berliner Wohnung; sie ist sein einziger Schutz. Die 25-Jährige studiert Politikwissenschaft, er, sechs Jahre älter als sie, arbeitet in einem Restaurant und gibt Sprachunterricht. Vor fast zehn Jahren verließ Rayhan, der fast immer Basecap und kariertes Hemd trägt, aus Angst um sein Leben seine Heimat; ein Land in Afrika, das er nicht nennen mag, weil er fürchtet, dass ihn das verraten könnte.
Die Geschichte von Lisa Kühn und Rayhan Reza, die ihre richtigen Namen nicht gedruckt sehen wollen, ist eine Geschichte über Angst, Hilfsbereitschaft und eine Verordnung namens Dublin III. Diese EU-Regelung macht Hunderttausenden Asylbewerbern zu schaffen, die in Europa ein neues Leben beginnen wollen. Denn ihr zufolge müssen Flüchtlinge in jenem EU-Land Asyl beantragen und sich aufhalten, das sie als Erstes betreten haben – in Rayhans Fall war das Italien, doch dorthin will er nie wieder zurück.