Hartmut Wittig ging 1985 als Pfarrer nach Hellersdorf – in ein gottloses Land. Dort, wo viele nicht einmal wissen, wo das Kirchenhaus steht, versucht er bis heute, Menschen für den Glauben zu begeistern – mit wechselndem Erfolg.
Wenn Pfarrer Hartmut Wittig jemanden für Gott gewinnen will, nutzt er seine Berliner Schnauze. Die Jünger, die Jesus folgen, nennt er eine „Truppe von Neugierigen“. „Sie müssen sich vorstellen: Diese Truppe kommt in ein Dorf, rastet und frisst alles leer“, sagt Wittig. Die Gesichter der Frauen, die ihm gegenüber sitzen, bleiben reglos.
„Auf dem Weg in die Gemeinschaft“, heißt der Kurs, den Hartmut Wittig alle zwei Wochen anbietet, immer donnerstagabends, immer eine Stunde. Eigentlich ist der Kurs für Menschen, die der evangelischen Gemeinde beitreten wollen, um mehr über den Glauben zu erfahren. In Hellersdorf hat er noch eine andere Funktion. Hier sitzen fünf Erzieherinnen, alle Atheistinnen. Sie arbeiten für den evangelischen Kindergarten, nur zwei Querstraßen von der Kirche entfernt. Derzeit ist es schwer, pädagogische Fachkräfte zu finden, und evangelische erst recht. Also hat die Gemeinde eine Ausnahme gemacht und Erzieherinnen eingestellt, die keine Kirchenmitglieder sind. Damit die Frauen dennoch evangelische Werte vermitteln können, sollen sie in den Kurs von Pfarrer Wittig.
Wittig hört zu, wenn die Erzieherinnen, eine nach der anderen, Bibelverse vorlesen: „Zu einem anderen sagte Jesus: Komm, folge mir nach. Dieser jedoch antwortete: Herr, lass mich zuerst noch nach Hause gehen und meinen Vater begraben“, liest eine 25-Jährige; das lila-blaue Haar zu einem Zopf gebunden, Piercings, lange Kunstnägel. Ihre Sitznachbarin mit rotem Haar liest weiter: „Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ „Was bedeutet das?“, fragt Pfarrer Wittig. Alle Frauen kleben mit den Blicken am Text, niemand schaut auf. Einzig das Ticken der Uhr ist im Raum zu hören.
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